Keine Token einladen!

Oder: Wie wir zu mehr Diversity auf der Bühne kommen

Im Oktober findet in Berlin die Codemotion statt – die internationale Konferenz für Entwickler*innen, Programmierer*innen und alle, die sich mit Innovationen, Trends und Zukunft der IT beschäftigen. newthinking, die auch jedes Jahr die re:publica mitorganisieren, suchen noch verstärkt Speakerinnen* für die Konferenz – der Call for Papers läuft noch bis zum 12. Juni 2016.

Wir haben mit Nadine Schildhauer von newthinking darüber gesprochen, warum es bei Tech-Konferenzen noch so wenige Frauen* auf der Bühne gibt und was Veranstalter tun können, damit es künftig mehr werden.

Nadine, ist es denn wirklich so schwer, Frauen als Speakerinnen für Veranstaltungen zu finden?

So schwer, dass Veranstalter*innen eine 90-Prozent-Quote oder ein reines Männer*-Panel rechtfertigen könnten, ist es nicht. Aber es ist doch so schwierig, dass wir bisher noch keine 50% Quote geschafft haben.

Woran liegt es, glaubt Ihr, dass sich weniger Programmiererinnen und Frauen aus dem Tech-Bereich generell auf die Call for Papers zurückmelden?

Ich spreche häufig mit Entwickler*innen und Speaker*innen und die häufigste Antwort, die ich erhalte, nachdem ich Frauen* konkret angeschrieben habe, ob sie am Call for Paper teilnehmen, war: „Ich weiß gar nicht, was ich erzählen soll“. Diese Antwort höre ich zum Teil sogar von Senior Developer*innen. Augenscheinlich begreifen Frauen* ihr Wissen mehr als Arbeits- und Praxiswissen, aber nicht so sehr als Expert*innenwissen, das sie als Best Practice auf der Bühne vorstellen können. Außerdem wollen sich viele 100-prozentig sicher sein, dass ihr Vortrag perfekt ist. Der Eigenanspruch ist so hoch, dass sie lieber gar nicht auf die Bühne gehen. Dabei erwarten wir als Veranstalter*innen keinen perfekten Vortrag. Perfekte Vorträge erwarten wir nur von unseren Keynotes.

Dann gibt es noch einen kleinen Prozentsatz, der sich davon angegriffen fühlt, dass wir dazu ermutigen wollen, einzureichen. Diese Frauen* fühlen sich wahrscheinlich als Token. Diese Angst ist auch völlig berechtigt, aber wir haben den Anspruch, dass sich bei uns alle Menschen wohlfühlen und niemand das Gefühl hat, ein Token zu sein.

Was meinst Du mit Token und warum ist diese Angst berechtigt?

Vielleicht haben einige von euch ein paar Folgen South Park geschaut. Dort gibt es einen Charakter, der Token heißt, einer der wenigen schwarzen Figuren in der Serie. Das macht ihn zum Morgan Freeman unter den Serienfiguren. Damit nehmen sich die Serienmacher*innen selbst auf den Arm und legen den Finger auf die Wunde, wenn es um Diversität im Fernsehen geht. Auf Konferenzen übertragen heißt das, dass wenn man die einzige eingeladene Frau* auf einer Konferenz ist, ist man mit großer Wahrscheinlichkeit ein Token für Veranstalter*innen. Sozusagen der minimalste betriebene Aufwand, um eine Konferenz diverser zu gestalten. Als Sprecher*In sollte man schon aufpassen, dass man nicht zum Alibisymbol wird, andererseits hat man aber auch die Möglichkeit, genau das auf der Bühne auszusprechen.

Was tut Ihr bei newthinking ganz konkret, um dennoch mehr Speakerinnen zu gewinnen? Und wie erfolgreich seid Ihr?

Als wir das erste Mal Frauen*, LGBTIQA Personen und People of Color ansprechen wollten, sind wir auf die Digital Media Women zugegangen, die über ihre Social Media Kanäle unsere Call for Paper-Aufrufe geteilt hat. Wir haben dann natürlich schnell gemerkt, dass das alleine nicht reicht. Im zweiten Schritt sind wir zu Meet-ups gegangen und haben unsere Call for Paper vorgestellt. Wir sind nach den Meet-ups geblieben, haben konkret Personen angesprochen, die auf das Konferenzprofil passen und versucht Überzeugungsarbeit zu leisten, Visitenkarten auszutauschen und an den Personen dran zu bleiben.

Zudem haben wir Communities und Multiplikator*innen angeschrieben. Wir haben unseren Code of Conduct geändert und geschaut, was andere Communities machen, die mehr Erfahrung als wir im Bereich Diversity haben. Das hat uns sehr geholfen. Zudem haben wir auch viel positives Feedback und Kritik bekommen, die nicht an uns abgeperlt ist, sondern die wir durchaus ernst genommen haben. In diesem Jahr haben wir gleich zwei Call for Paper-Workshops gemacht, die sich an Personen gerichtet haben, die noch nie in einen Call for Paper eingereicht haben. Zudem laden wir konkret Sprecher*innen ein, wenn sich nicht genügend auf unseren Call for Paper bewerben. Es ist im ersten Schritt wichtig, Sichtbarkeiten zu schaffen und Role Models zu fördern.

In unseren Programmkomitees versuchen wir sowohl Frauen* als auch LGBTIQs einzubinden, was auch gar nicht so schwer ist, weil es genügend Communities gibt, die einen bei der Recherche helfen. Schwieriger ist es People of Color anzusprechen, weil es in Deutschland im Tech Bereich noch keine Zusammenschlüsse von People of Color existieren. Also: Falls das jemand liest: Wir würden uns wahnsinnig über Strukturen und Ansprechpartner*innen freuen. Außerdem gehen wir für jede Konferenz auf Sponsor*innensuche und probieren Unternehmen zu finden, die sich in dem Bereich engagieren möchten.

Was rätst Du Frauen konkret, die tatsächlich zu einem Thema vortragen wollen?

Übe deinen Vortrag vorher vor Freund*innen oder Personen, denen du vertraust. Sprich deinen Talk mindestens einmal komplett laut durch. Unvorbereitet auf eine Bühne zu gehen, kann zu schlechten Erfahrungen führen. Haltet euch vor Augen: Euer erster Vortrag wird nicht der beste sein und das ist ok. Ihr werdet mit der Zeit besser, je öfter ihr vortragt. Traut euch! Bei der Codemotion Berlin haben wir in diesem Jahr wieder eine Community Stage, dort könnt ihr über Themen sprechen, die nicht fortgeschritten sein müssen, aber dürfen. Nutzt die Gelegenheit, übt und nerdet rum. Wir finden das toll!

Was muss sich noch ändern, damit wir in, sagen wir, in etwa zehn Jahren das Problem nicht mehr haben?

Patriarchiale Strukturen abschaffen, wäre hilfreich. Auf einem niedrigeren politischen und gesellschaftlichen Level würde ich sagen, dass es mehr Chef*innen braucht, die ihre Mitarbeiter*innen dazu ermutigen, über ihr Fachgebiet zu sprechen. Zudem müssen weiße Männer begreifen, dass die Qualität einer Konferenz nicht abnimmt, wenn Veranstalter*innen mehr Frauen* einladen, zugleich sollte nicht der Anspruch erhoben werden, dass die Qualität dadurch zunähme. Es muss ein realistisches Bild von Diversity etabliert werden, das potentielle Sprecher*innen dazu ermutigt, Talks zu halten und nicht den Anspruch erhebt, die Qualität einer ganzen Konferenz aufzuwerten. Das neoliberale Argument und Untersuchungen darüber, dass und ob Unternehmen besser performen durch Diversity Management, finde ich problematisch. Beim Thema Diversity schwingt dadurch ein Performancedruck mit, der ganz klar abgebaut werden muss. Zudem sollte natürlich viel früher in der Schule angesetzt werden, aber darüber sollten lieber Pädagog*innen sprechen. Ein Code of Conduct, sensible Sprache und einfach ein Bewusstsein für subtile und offensichtliche Diskriminierungen würden in vielen Unternehmen schon helfen, damit sich mehr Mitarbeiter*innen eingeschlossen fühlen und sich mehr nach vorne wagen. Dazu gehört auch der Mut, Diskrimierungen anzusprechen und die Akzeptanz, dass nicht jeder gleich eine sensible Sprache drauf hat, diese aber Lernen kann.
Für newthinking als Beispiel heißt das konkret: Wir haben es erst mit Try & Error probiert, sind auch auf die Nase gefallen, haben zugehört und konnten alle gemeinsam dazulernen und kleine Erfolge und Fortschritte feiern. Das ist wohl das wichtigste Learning: Diversity lässt sich nicht von einen auf den anderen Tag implementieren, dazu gehört eine Menge Lernbereitschaft. Diese Lernbereitschaft hat das ganze Team und das schätze ich an meinen Kolleg*innen sehr.

Nadin Schildhauer arbeit seit 2014 bei newthinking an der Schnittstelle von Kommunikation und Event und ist für Pressearbeit und Online-Kommunikation verschiedener Konferenzen zuständig @N_Flux, @newthinking

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