Redenwettbewerb: Europas Champions

Ein Gastbeitrag von Daniela Schulz

Berlin. Blauer Himmel. Bei fast 30 Grad - und Wochenende. Rund 450 Frauen und Männer verbringen ihre Freizeit freiwillig in einem riesigen, klimatisch abgeschotteten Tagungshotel in Neukölln. Ein Stimmengewirr aus Englisch, Deutsch, Schwedisch, Tschechisch, Ungarisch, Polnisch und mehreren anderen osteuropäischen sowie skandinavischen Sprachen füllt das Foyer. Was ist hier los?

Die Redner*innen der Rhetorik-Organisation Toastmasters International treffen sich zu ihrer Frühjahrskonferenz. Weltweit hat die Organisation 345.000 Mitglieder in 15.900 Clubs. Mit enormer Wachstumstendenz. Vor drei Jahren beschlossen deshalb die europäischen Clubs, sich in zwei große Club-Organisationen zu teilen: Deutschland und Österreich gehören nun zusammen mit Skandinavien, dem Baltikum und Osteuropa zum sogenannten "District 95" - während West- und Südeuropa den "District 59" bilden.

Konferenz-Höhepunkt: Wahl der besten Redner*innen Europas

Ziele der internationalen Toastmasters-Konferenz sind Austausch, Netzwerken und die übliche Vereins-Organisation. Doch der Höhepunkt wird die Kür der besten deutschsprachigen und internationalen (englischsprachigen) Redner*innen Europas sein.

Fünf bis sieben Minuten werden die Redner*innen jeweils Zeit haben, um das Publikum mit Storytelling, Körpersprache und Stimme in den Bann zu ziehen und die Jury von ihren Speaker*innen-Qualitäten zu überzeugen. Die Sieger*in der Kategorie "internationale Reden" wird im August nach Vancouver fliegen, um dort für den Titel der Reden-Weltmeister*in anzutreten.

Vier Frauen und zwei Männer in der Endrunde

Nach mehreren Durchläufen werden in der Berliner Endrunde schließlich vier Frauen und zwei Männer um den Titel ringen. Nach sechs perfekt vorgetragenen Reden gehen die ersten drei Plätze an Denise Banks-Grasedyck (Deutschland), Aleksandra Lewandowska (Polen) und Vanya Eide (Schweden). Alle drei treten mit einer individuellen Geschichte auf. Bei den Mitgliedern der Toastmasters Clubs sind besonders persönliche Geschichten beliebt, die auf ein höheres Ziel verweisen. Beispielsweise erzählt Vanya Eide von ihrer Zirkus-Kindheit und den Hürden, die sich daraus ergeben haben - über ihre Andersartigkeit, die vor allem in der Pubertät zum Tragen kam, und wie sie sich allen Widrigkeiten zum Trotz zu einer selbstbewussten Frau entwickelt hat. Aleksandra Lewandowska wendet sich gegen Gedanken-Schubladen und Vorurteile. Jede und jeder ist wertvoll und einzigartig und nicht in Geld zu bewerten, ist ihre Botschaft: „Schubladen sind für Dinge da und nicht für Menschen“. Mit ihrer glasklaren Haltung wirkt sie sehr authentisch und überzeugend.

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Gewinnerinnen Vanya Eide, Denise Banks-Grasedyck, Aleksandra Lewandowska
CC BY-SA 4.0 Foto: Tobias Schlosser

Denise Banks-Grasedyck gewinnt den Reden-Wettbewerb

Als unangefochtene Siegerin steht Denise Banks-Grasedyck auf dem Podium. Sie kommt mit einer Geschichte auf die Bühne, die die Verantwortung jedes Einzelnen im Alltag für die Gesellschaft zeichnet. Mit "Why me?" erzählt die aus den USA stammende Berlinerin von ihrer Liebe zu dieser Stadt und von dem zugleich oftmals rauhen menschlichen Klima. Sie schildert die Gleichgültigkeit unter den Menschen, selbst bei dramatischen Vorfällen wie Belästigung und Raub. Beides hat sie selbst erlebt und das sei auch der Grund, weshalb sie weiterhin auf Hilfsbereitschaft und Miteinander setze. Das war ein starker moralischer Appell, der - völlig unverkrampft und mit viel Empathie vorgetragen - umso stärker auf das Publikum wirkte.

Abgesehen von dem aktuellen Thema begeistert Denise Banks-Grasedyck durch ihr sorgfältiges Storytelling. Sie erzählt ihre Geschichte mithilfe mehrerer einzelner in sich abgeschlossener Plots. Ihre Schlussaussage wird dadurch glaubhaft und nachvollziehbar. Dazu kommen die natürlich-selbstbewusste Körpersprache und der stimmliche Variationsreichtum der Rednerin.

All das sind Fähigkeiten, die bei den wöchentlichen Treffen der Toastmasters Clubs trainiert werden. Das geht so: Jedes Clubmitglied erhält bei Eintritt in den Club ein Arbeitsheft, das in zehn Schritten den Kanon der guten Rhetorik enthält. Schritt für Schritt arbeitet sich jedes Mitglied nach eigenem Tempo von einer Aufgabe, sprich Rede, zur nächsten. Am Ende der zehnten Rede wird der Titel "Competent Communicator" verliehen.

Nicht immer brilliert man nach zehn Clubreden so wie die Siegerinnen des Redenwettbewerbs. Doch das regelmäßige Sprechen vor zehn bis dreißig Leuten übt, die schlimmste Scheu vor der Öffentlichkeit abzulegen. Das Sprechen vor Publikum wird mehr und mehr zur Gewohnheit. Meine persönliche Beobachtung über die Jahre ist, dass sich jede, die das Programm durchgearbeitet hat, in ihrer Präsentationsfähigkeit sichtbar verbessert und mehr Präsenz auf der Bühne gewonnen hat. Dasselbe gilt natürlich für die männlichen Kollegen.

Training ist alles

Die Toastmasters Clubs sind ein ideales Forum, um Themen auszuprobieren. Man kann dort auch berufliche Rollenspiele üben und sogar die Moderator*innenrolle. Denn bei jedem Treffen gibt es einen sogenannten Toastmaster des Abends. Er/sie ist verantwortlich für den glatten Ablauf und für die Übergänge der einzelnen Programmpunkte. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Rollen oder Ämtern, die alle das Ziel haben, das Sprechen vor Publikum zu trainieren.

Neben dem Spaß, den man trotz der vielen Regeln des Vereins hat, liegt der Vorteil von Toastmasters International im regelmäßigen, wöchentlichen Rede-Training. Gegenüber einem teuren einmaligen Rhetorikwochenende ist das ein klarer Vorteil und der Vereinsbeitrag ist tatsächlich nicht höher als der Beitrag zum Sportverein. Nun denn, ob Leibesübungen oder Wortakrobatik beides muss trainiert werden.

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Unsere Gastautorin Daniela Schulz schreibt Reden für Politiker*innen und Unternehmer*innen. Seit drei Jahren ist sie aktiv in mehreren Rednerclubs der Toastmasters International. Am Anfang stand der Wunsch, sich in die Rolle ihrer Kund*innen einzufühlen, um ihre Perspektive als Redner*innen mehr zu verstehen. Dann entdeckte sie das hohe Netzwerkpotenzial des Clubs und mittlerweile steht sie auch selber gerne auf der Bühne. Ihre Lieblingsthemen sind Nachhaltigkeit und Kaffee als Kultur- und Handelsgut.

Daniela Schulz ist Dipl.-Journalistin und betreibt das Reden-Atelier in Hamburg.